Der Supergau

Nach fast einem Jahr habe ich mich an die Geräusche gewöhnt: das Laufen des Wassers oder des Fernsehers, lautes Gestöhne, selbst an die Schritte … doch diesen Sonntag sollte alles anders sein!

Da mich ein grippaler Infekt niederraffte, überlies ich letzten Sonntag das hübsche junge Mädchen voll und ganz meinem Bruderherz und widmete mich hinter verschlossener Tür den flauschig-plüschigen Dingen. Während ich eintauchte in eine Welt voller Gefahren, großen Tamplern  und Cheeseburgern, hörte ich es – oder besser ich hörte es eben nicht mehr.

Die Geräusche, die Stimmen, selbst das Lachen, waren verstummt. Eine unheimliche Stille erfüllte das Haus. Ich richtete mich auf und lauschte angestrengt.

Dann vernahm ich sie: Schritte! Sie kamen näher. Immer näher …

Ein Klopfen, doch irgendetwas stimmte an diesem Klopfen nicht. Es war nur eine Vorahnung, so wie man am Läuten des Telefons hört, dass etwas passiert ist. Ich sollte recht behalten.

Vor mit stand es: ein kleines Häufchen Elend mit hängendem Kopf, traurigen Augen und schwarzem Daumen. Ehe ich fragen konnte, kamen langsam die erschreckenden Worte:

„Die Kaffeemaschine ist kaputt…!!!“ Mein Herz setze einen Schlag aus, mein Atem stockte. Ich hoffte mich verhört zu haben, doch Miguel sprach weiter: „Ich habe ihr auf dem Weg hierher einen frischen Kaffee versprochen! Was mache ich denn jetzt?“ Sein Blick trübte sich, er schien wie in einer anderen Welt, als die entscheidende Frage kam: „Und vor allen Dingen: WAS MACHE ICH MORGEN FRÜH???“.

Vermutlich hörte man in der gesamten Nachbarschaft mein Hirn rattern, denn Horrorvisionen von einem Morgen an dem Miguel kein Kaffee bekommt, zogen an meinem geistigen Auge vorbei.

Wie bei einer Trickfilmfigur flogen Blitze – Geistesblitze – um meinen Kopf (na gut es könnte auch das Flackern der Glühbirne gewesen sein), als mir einfiel das ich erst kürzlich noch Instantkaffee gesehen hatte. Dieser hat mich am ersten Urlaubstag schon einmal vor meinem Bruderherz auf Koffeinentzug bewahrt. Wie ein kleiner Goblin funkelte mich mein Gegenüber an und zischte: „Einer reicht da aber nicht!“ Während sich auf meiner Stirn dicke Schweißtropfen bildeten, kam Miguel auf eine andere Lösung:

Er wollte probieren den Filterkaffee mit der Hand aufzubrühen. Es funktionierte! Zwar war es kein wirklicher Vergleich, aber es reichte um den Koffeinlevel meines Bruderherzens auf einem erträglichen Niveau zu halten.

Abends durchwühlte ich den Küchenschrank. Einen Indianer fand ich nicht, dafür aber sogar drei der Kaffeesticks. DAS genügte als Notreserve für den nächsten morgen. Ich atmete auf und entspannte mich. Alles würde gut werden.

Am nächsten Morgen schritt ich langsam die Treppe herab und schielte um die Ecke. Die Mundwinkel meines Bruders waren schmal, aber nicht nach unten gezogen. Ein gutes Zeichen!? Dann sah ich die Tasse mit schwarz-weißer Flüssigkeit vor ihm. Er hatte gefärbtes Wasser!!!

Nach dem nicht stattfindenden Frühstück machte Miguel sich auf den Weg in den Großstadtdschungel – und kam mit einer neuen heilen und vor allen Dingen funktionierenden Kaffeemaschine wieder! Ich bin gerettet!

So kam es, dass ich den  Abend, sowie den nächsten Morgen, unbeschadet überstand und Miguel nicht ohne Kaffee erleben musste.

Möge der tiefschwarze Koffeingott mir huldig sein, damit ich dies auch NIE erleben muss!!!